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Die Stiftung Lebensart in Bärau unterstützt Jugendliche und Erwachsene mit erschwertem Zugang zum Arbeitsmarkt, ein möglichst selbständiges Berufsleben zu führen. Karriere machen ist hier kein Fremdwort. Mit der passenden Förderung und Ausbildung schaffen es einige gar zum Lebensmittelgeneralisten oder Verkaufsspezialisten.

Die Stiftung Lebensart bietet Wohn- und Lebensräume sowie Arbeitsplätze für Menschen mit Beeinträchtigung und Menschen im Alter. Am Standort Bärau zählen betreutes Wohnen, Wohnen mit Begleitung oder Pflege, Wohntraining und Wohngruppen für Menschen mit Beeinträchtigung oder Demenz zum Angebot. Wer kann, arbeitet in unterschiedlichen Betrieben wie der Schlosserei, dem Holzzentrum, im Verkauf in der Markthalle, auf dem Bauernhof oder in der Restauration. Jeder Betrieb setzt den Menschen in den Fokus, baut auf seine Stärken und fördert sie.

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Bruno Renggli (rechts), Leiter Gastronomie Bärau, und Dominik Käsermann arbeiten seit 18 Jahren zusammen und sind ein eingespieltes Team.

Bald pensioniert

Der umtriebige Leiter Gastronomie Bärau, Bruno Renggli, geht bald in Pension. Doch von Kürzertreten ist bei ihm nichts zu spüren. Zu seinem Reich gehören die Fleisch- und Milchverarbeitung, die Bäckerei und die Küche. Hier fühlt er sich zu Hause. Die Rezepte und Menüs schmecken nicht nur den Bewohnenden und den Gästen im Café Lärche. Seine Produkte und  Gerichte sind auch Teil des Sortiments der Markthalle auf der anderen Strassenseite. Eine Käsespezialität und «Nidletäfeli» sind gar beim Grossisten erhältlich. «Ich geniesse viele  Entscheidungsfreiheiten, um das riesige Angebot aufrechtzuerhalten. Die Entscheidungen fälle ich zugunsten der Mitarbeitenden sowie der Produkte. Manchmal sind mir die administrativen Wege einfach zu lang», hält der drahtige Leiter Gastronomie Bärau fest und ergänzt: «Bei mir in der Rüstküche arbeitet ein Bewohner mit nur einem Arm. Auf einem eigens für ihn von der Schreinerei hergestellten Nagelbrett befestigt er das extragrosse Gemüse. Mit diesem Hilfsmittel befähigen wir ihn, dass er selbständig und in seinem Tempo die Rüstarbeiten unterstützen kann.»

Das Nagelbrett als Rüsthilfe

Bruno Renggli

Leiter Gastronomie Bärau

Fehler sind ok

«In unseren Betrieben beschäftigen wir viele Mitarbeitende mit einer Beeinträchtigung. Das bedeutet keineswegs, dass wir von unseren Gästen oder Kundinnen und Kunden einen Bonus einfordern», erklärt der Leiter Gastronomie Lebensart, Urs Berger. Seit zwei Jahren ist er bei der Stiftung angestellt. Vorher arbeitete Berger in einem Kettenbetrieb. «In der Stiftung Lebensart führen wir nach dem Prinzip «Fehler machen ist ok», und mit der richtigen Unterstützung gibt es für jeden die passende Arbeit. Mit dieser Art der Führung stärken wir die Menschen und helfen ihnen, sich zu entwickeln. Daher kommen sie gerne zu uns und sind motiviert. Rückschläge und Geduld sind die täglichen Begleiter der Vorgesetzten und Mitarbeitenden. Bei der Planung der Arbeit sind wir uns dessen bewusst und planen Unvorhergesehenes so gut es geht ein.» Weiter führt Berger aus, die Mitarbeitenden seien unter Umständen sensibler und würden mit Leistungsabbau auf angespannte Situationen reagieren. Hier sei das feine Gespür der Vorgesetzten und der Teammitglieder entscheidend. Mit aufmunternden Worten, Blicken oder Pausen entspanne sich die Situation aber meistens rasch.

Wow

In der Lebensart zu Hause

Die Stiftung Lebensart bietet Lebensraum und Arbeitsmöglichkeiten für Menschen mit Beeinträchtigungen und für Menschen im Alter mit unterschiedlichem Pflegebedarf. Unabhängig von Einschränkungen sollen sie in der Stiftung Lebensart Wurzeln schlagen, wachsen und sich entfalten. Dafür will die Stiftung ein althergebrachtes Prinzip über Bord werfen: feste Angebote und Leistungen. Die Vorgesetzten hören den Menschen zu, beobachten sie und bieten ihnen an, was sie sich wünschen und was sie benötigen.

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Hansruedi Löffel und Benjamin Brönnimann stellen viele Holzprodukte für die Stiftung Lebensart her.

Vielfalt als Chance

Die Stiftung Lebensart bietet eine grosse Vielfalt an Arbeitsmöglichkeiten. Von Pflege und Betreuung über Gastronomie, Landwirtschaft, Handwerk und Verkauf ist alles dabei. Je nach Fähigkeiten und Bedürfnissen können die Mitarbeitenden an angepassten Arbeitsplätzen in verschiedenen Betrieben arbeiten und so ihre Stärken bestmöglich einbringen. In insgesamt sechzehn Berufsfeldern bietet die Stiftung Lebensart Ausbildungsmöglichkeiten mit unterschiedlichem Anforderungsniveau an: Lehre mit Eidgenössischem Fähigkeitszeugnis (EFZ), mit Eidgenössischem Berufsattest (EBA) oder praktische Ausbildung (PrA). Die unterschiedlichen Niveaus bieten den Lernenden die Möglichkeit, eine ihren Fähigkeiten angepasste Ausbildung zu absolvieren. Urs Berger erzählt: «Wir haben Mitarbeitende, die eine EBA-Ausbildung abgeschlossen haben und jetzt beim EFZ angelangt sind. Jeder absolviert die Ausbildung in seinem Tempo und entwickelt sich so weiter Richtung Eintritt in den Arbeitsmarkt – nach dem Abschluss hier in der Stiftung Lebensart oder in einem Betrieb ausserhalb.»

 

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Daniel Moser nimmt sich gerne Zeit für die Mitarbeitetenden.

Vom Fleischhaken in die Marktauslage

Weiter geht’s in die interne Fleischverarbeitung. Ihr Angebot ist vielfältig. Zum einen beliefert sie die Markthalle und zum anderen die Gastronomie der Stiftung. Die Tiere stammen aus der Region – sie werden geschlachtet und halbiert geliefert. «Wir stellen viele Fleischerzeugnisse wie Landjäger, Goldhamme, Cervelats und Fleischkäse her», erklärt der Leiter Fleischverarbeitung, Daniel Moser. Seine Ausbildung absolvierte er in der Stiftung Lebensart. Nach einigen Wanderjahren zog es den Fachmann wieder nach Bärau. Er sagt, er arbeite gerne hier. Man müsse Menschen mögen und auch verstehen, dass die Leistungen von Stunde zu Stunde variieren können. Wachsamkeit, Geduld und Lob seien entscheidende Faktoren, um den Mitarbeitenden die notwendige Stütze zu geben. «Mit der Markthalle hat Lebensart einen besonderen Motivationspunkt für die Mitarbeitenden. Sie erkennen die Produkte, die sie selber oder im Team hergestellt haben. Mit individueller Begleitung können sich Menschen mit einer Beeinträchtigung bei Lebensart weiterentwickeln und sich entfalten. Heinz Graber ist einer davon. Er arbeitet als Verkaufsberater in der Markthalle», hält Daniel Moser fest.

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Heinz Graber ist leidenschaftlicher Verkaufsberater in der Markthalle.

Graber, der Verkaufsspezialist

Wir betreten die hell erleuchtete und mit viel Holz eingerichtete Markthalle. Hier gibt es verschiedene Produktgruppen: ein «Prima»-Sortiment für den täglichen Bedarf, Produkte von regionalen Lieferanten und jene, die in den Betrieben der Stiftung Lebensart hergestellt oder veredelt wurden. Heinz Graber kennt die Lebensart- Produkte und ihren besonderen Wert genau und teilt sein Wissen mit einem Kunden vor Ort: «Unsere Teigwaren produzieren wir in Trubschachen. Sie enthalten keine Zusatzstoffe, die die Haltbarkeit verlängern. Dasselbe gilt auch für unsere Konfitüren.» Er zeigt auf das Gestell mit den Konfigläsern. «Die Konfitüre stellen wir mit lokalen oder Schweizer Früchten her. Sie hat einen hohen Fruchtanteil.» 

Vom Knecht zum Verkaufsspezialisten

Heinz Graber

Mitarbeitender Markhalle

Man merkt: Heinz Graber ist in seinem Element. Woher nur hat er all sein Wissen? Er klärt uns auf: Während fast zwanzig Jahren habe er als Knecht auf einem Bauernhof gearbeitet, danach in einer Schlosserei. Seit er denken konnte, wünschte er sich, mit Lebensmitteln zu arbeiten. Nach einem Schnuppertag in der Gastronomie in Trubschachen hat er in die Produktion von Teigwaren, Konfitüren etc. gewechselt. «In diesen zwei Jahren lernte ich viel. Ich durfte mit grossartigen Menschen arbeiten, die mich weitergebracht haben. Heute kenne ich jedes Produkt und seine Geschichte. Auch dieser Tisch hier wurde in unserem Holzzentrum aus Schweizer Holz hergestellt.» Schon steht er beim nächsten Kunden und beantwortet seine Frage mit «Ja, das ist ein Sauerteigbrot. Wir verarbeiten fünfzig Tonnen Mehl im Jahr. Der grösste Teil Getreides wächst im Emmental.»

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Zum Betrieb

Stiftung Lebensart

Bäraustrasse 71
3552 Bärau

info@lebensart.ch

Webseite

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Daniel Ketterer, der Allrounder.

Stolzer Käse-Pfleger

Nicht alle Mitarbeitenden haben so viel Kundenkontakt wie Heinz Graber. Wir schlendern zurück in die Küche und treffen auf den weiss gekleideten Daniel Ketterer. Er absolvierte die Anlehre als Koch und arbeitete dann im Restaurant Bären in Ersigen. Jetzt unterstützt er über Mittag die Köche beim Anrichten. Seine Hauptbeschäftigung ist die Pflege des Käses. «Unsere Spezialität ist das Bärau-Mutschli. In regelmässigen Abständen reibe ich die Laibe mit Salzwasser ein. Das verleiht ihnen eine schöne Rinde und einen feinen Geschmack. Bis zu sechs Wochen bleiben sie hier. Wenn ich das Käseangebot in der Markthalle sehe, bin ich schon stolz. Es ist das Resultat meiner Arbeit, die ich täglich verrichte», erklärt Daniel Ketterer. 

Mit ungebremstem Vorwärtsdrang

Die Stiftung Lebensart befindet sich im steten Wandel, will sich entwickeln und verbessern. In allen Bereichen sollen weitere Arbeitsplätze für Menschen mit Beeinträchtigungen geschaffen werden. Auch das Verpflegungsangebot soll noch besser die Bedürfnisse der Bewohnenden abdecken. «Etliche ältere Menschen haben ihren Appetit verloren und leiden an Demenz. Daher werden wir vermehrt auf den Etagen Mahlzeiten zubereiten. An gewisse Aromen können sich Menschen mit Demenz erinnern. So lockt beispielsweise der Geschmack von frischgebackenen Brötchen oder aufgebrühtem Kaffee die Menschen oftmals schneller aus dem Bett als alle gutgemeinten Worte. Mit kleinen Gesten und Massnahmen schaffen wir neue Dienstleistungen. Diese sind teilweise eine Herausforderung für unsere Mitarbeitenden», hält Urs Berger fest. «Der Weg ist das Ziel. Es ist alles in Bewegung. Wir gehen mit den Veränderungen mit, probieren aus, holen Feedbacks ein und machen Anpassungen. Schliesslich sind es die frischen Ideen, die den Bewohnenden neue Perspektiven geben.» 

Bilder: Jürg Waldmeier / Stiftung Lebensart

 

Erich Büchler

Erich Büchler

Autor

Früher kreierte ich als Koch aussergewöhnliche Gerichte aus Schlüsselblumen und Brennnesseln.

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