Er ist einer derjenigen, die die Reifung des Weltmeister-Käses Gruyère AOP beaufsichtigen. Christian Zürcher hat uns verraten, wie man einen Meisterkäse bewertet und wie Bäckereien und Gastronomiebetriebe mehr vom Potenzial des Käses nutzen könnten.
- Christian Zürcher stammt aus einer Käserfamilie. Aufgrund einer Milchallergie kann er nicht mehr direkt in der Produktion tätig sein.
- Ein preiswürdiger Käse braucht einen «Wow-Effekt», sagt Zürcher, der als Juror bei Käse-Meisterschaften fungiert.
- Zürcher betont die Wichtigkeit von handwerklichen, originalen Käseprodukten aus der Schweiz für die Gastronomie.
- Zürcher sieht zwar Potenzial in milchfreiem Käse-Alternativen, ist aber kritisch gegenüber dem Begriff «Käse-Ersatz».
Christian Zürcher, was verbindet Sie mit Käse?
Das ist einfach – es ist eine Familienangelegenheit (lacht). Ich hatte zwei Grossväter, die Käser waren: einen aus dem Thurgau, der Emmentaler produzierte, und einen aus der Nähe von Moudon, der Gruyère produzierte. In meiner Familie haben alle das Käsen gelernt, auch wenn nicht alle in dem Beruf geblieben sind. Ich bin in der Käserei meines Vaters aufgewachsen und habe mich für diesen Beruf entschieden. Mit 25 musste ich allerdings aus gesundheitlichen Gründen, genauer gesagt wegen einer Milchallergie, weg aus der Käserei. Seit etwa zehn Jahren bin ich unterdessen wieder in der Branche, zuerst als Käse-Einkäufer, jetzt hauptsächlich als Direktor der Fromco, eines Reifungskellers des Gruyère AOP, der zu Emmi gehört.
Was fasziniert Sie an Käse?
Ziel ist, das Beste aus der kostbaren Milch herauszuholen und dadurch unseren Kundinnen und Kunden die besten Erlebnisse zu ermöglichen. Es geht um eine Veredelung der Milch, die wir – anders als bei der Schokolade – zu 100 Prozent in der Schweiz machen können. Wir profitieren dabei von der vielseitigen Flora der Schweiz, und das schmeckt man. Wir sind immer auf der Suche nach dem perfekten Käse, und wenn man den fast gefunden hat, will man noch weitersuchen. Dahinter stehen viele Familien und passionierte Mitarbeitende. Letztendlich reist unser Käse in die ganze Welt und bringt kulinarische Freude. Das macht uns stolz – nicht unbedingt reich, aber stolz (lacht).

Christian Zürcher
Der 43-Jährige ist Direktor der Fromco SA (Reifungskeller des Gruyère AOP), leitet zwei Käsereien und gehört zum Vorstand mehrerer Käse-Organisationen. Er war wiederholt Juror bei den Swiss Cheese Awards und den World Cheese Awards.
Sie waren Juror bei den World Cheese Awards und den Swiss Cheese Awards. Was braucht ein Käse, um einen Award zu gewinnen?
Es braucht einen gewissen Wow-Effekt. Bei den Wettbewerben sieht man die ganze Arbeit nicht, die in einem Käse steckt – man sieht nur eine Stichprobe. Zunächst geht es um das Aussehen: Was hat dieser Käse erlebt? Wie viel Handarbeit ist zu erkennen? Sieht man Spuren von industrieller Produktion? Was für eine Rinde hat er? Wie homogen ist er, was hat er für ein Format, was für eine Farbe? Dann folgt das Aroma, der Geruch – der kann unterschiedlich intensiv sein und schon andeuten, was einen geschmacklich erwarten wird. Anschliessend geht es um die Konsistenz: Wie weich, wie gummig, wie flexibel ist der Käse? Wenn Schmelzkäse dabei ist, werden zusätzlich die Schmelzeigenschaften bewertet und wie viel Fett beim Schmelzen ausgeschieden wird. Danach folgt die Degustation. Hier geht es zunächst um das Mundgefühl: Wie entwickelt sich der Käse im Mund, im Gaumenbereich? Klebt er an den Zähnen, ist er sandig? Wie angenehm, wie weich ist er? Man merkt rasch, ob das Verzehren dieses Käses Spass macht, und das ist meist sehr universell. Zum Schluss bewerten wir den Geschmack, und da können die Meinungen sehr weit auseinandergehen.
Wie werden sich die Juror:innen denn beim Bewerten des Geschmacks einig?
Man orientiert sich daran, was für ein Käse es ist und welchen Charakter er gemäss Beschrieb mitbringen soll. Der Geschmack soll dem «Pflichtenheft» des Käses entsprechen, und er soll rein und langlebig, aber rund sein. Er hat mehrere Phasen, wie beim Wein. Man soll nicht mehrere Kilo von dem Käse essen müssen, damit der Geschmack bleibt, aber man möchte auch keinen ausgedehnten Nachgeschmack.

Wie wählt man als Bäcker:in den richtigen Käse für bestimmte Zwecke aus?
Man sollte degustieren und sich für handwerkliche, originale Produkte mit Geschmack entscheiden. Es sollte dabei aber miteinbezogen werden, dass man mit dem Brot spielen kann. Bei Fondue beispielsweise wird viel über verschiedene Käsemischungen diskutiert – dabei kann man auch unterschiedliche Brote verwenden. Brot ist eines der wichtigsten Produkte, die es gibt. Man darf Käse gerne mit Brot kombinieren, das Charakter hat; beispielsweise mit einem Ruchbrot oder etwas Süsslichem, je nach Käsesorte.
Es wird häufig vergessen, dass man in Menüs einen Käseteller integrieren könnte.
Christian Zürcher
Käse-Experte
Wir profitieren von der Flora der Schweiz, und das schmeckt man.
Christian Zürcher
Käse-Experte
Wo sehen Sie in Gastronomiebetrieben ungenutztes Potenzial, was Käse angeht?
In manchen gehobenen Restaurants gibt es Käsetische oder Käsewagen, und das wird sehr geschätzt. Es wird aber auch häufig vergessen, dass man in ein Menü beispielsweise einen Käseteller integrieren könnte. Grundsätzlich ist es erfreulich, dass in der Schweizer Küche viel mit Käse gearbeitet wird. Es würde mich aller-dings freuen, wenn man sich dabei mehr für Schweizer Sortenprodukte wie Tête de Moine, Gruyère, Emmentaler oder Appenzeller entscheiden würde, statt auf billige Alternativen zurückzugreifen. So setzt man sich ein für unsere heimischen Sorten, und das soll man dann auch gerne auf der Speisekarte ausloben. Dadurch erhält man auch geschmacklich bessere Resultate und bessere Rückmeldungen von der Kundschaft. Das hat natürlich seinen Preis – aber dahinter stehen Familien, die seit Generationen an diesen Produkten arbeiten. Und wir wollen ja, dass die Käsevielfalt auch für die nächsten Generationen bewahrt wird.
Wie gefallen Ihnen milchfreie Käse-Ersatzprodukte, die heutzutage entwickelt werden?
Ich durfte schon an ein paar Degustationen solcher Produkte dabei sein. Ich finde die Produkte zwar durchaus interessant, aber es missfällt mir ein wenig, wenn lediglich versucht wird, tierische Produkte zu kopieren. Daher gefällt mir das Wort «Käse-Ersatz» nicht. Aus meiner Sicht sollte man da einen anderen Weg gehen. Marktpotenzial ist sicher da, aber man kann die Produkte nicht mit Käse vergleichen. Bis zugleich eine wirklich gute Textur und ein wirklich guter Geschmack erreicht sind, wird es noch einiges brauchen.
Zum Schluss: Was gehört für Sie auf eine gute Käseplatte?
Sicher eine breite Variation aus Weichkäse, Halbhartkäse und Hartkäse. Aufgrund meines Ursprungs würde ich mich auf jeden Fall für Tête de Moine und Gruyère entscheiden – auch deshalb, weil der Gruyère einen sehr interessanten Geschmack und Gaumenaspekt mitbringt, der bei verschiedensten Leuten gut ankommt, und weil der Tête de Moine in Rosettenform auch etwas Besonderes für das Auge bietet. Ein älterer Emmentaler gehört für mich auch dazu; auch diesen Käse habe ich schon produziert. Ich mag auch einen guten italienischen Parmesan oder einen französischen Brie. Aber die Vielfalt ist endlos, und ich möchte keinen Käse beleidigen (lacht).
Bilder: E.T. Studhalter, © Switzerland Cheese Marketing