René Gabriel, einer der bekanntesten deutschsprachigen Weinkritiker, hat sich mit Texten und Events einen Namen gemacht – und auch mit einem Weinglas. Die Faszination dieses Trinkgefässes und seines Inhalts haben wir im Gespräch mit dem «Weinpapst» ergründet.

Herr Gabriel, wie würden Sie den Grund für Ihre Liebe zum Wein beschreiben?

Es handelt sich um eine Suche nach Genuss. Wenn wir zu meiner Lehrlingszeit zum Essen ausgingen, tranken die anderen meist Bier, aber ich bevorzugte ein Glas Wein. Ich fand, daraus ergab sich ein gewisser Lustgewinn. Wein passt für mich einfach besser zum Essen. Die Ausnahme sind Würste, ein «Gnagi» oder eine «Metzgete», das mundet mir besser mit Bier. Andererseits finde ich diese Harmoniesucht auch daneben, wenn man sich ständig Dinge fragt wie «Was passt zu einem Rehrücken?». Bei dem Rehrücken sind ja noch Spätzli, Birnen, Rotkraut, Maroni, Rosenkohl, Speck oder was weiss ich dabei – da stösst die Idee, dass jetzt dieser Wein genau zu jenem Gericht passt, an ihre Grenzen. Ich bin auch entdeckungsfreudig geworden. Die Neugier treibt einen an, sei es beim Wein oder bei einem anderen Hobby. Wenn man seinem Körper etwas Gutes tut, ergibt sich daraus ein besonderes Glücksgefühl. Das ist eine wunderbare Selbsterfahrung. Viele können gar nicht mehr richtig geniessen, weil sie abgelenkt sind von der Reizüberflutung der heutigen Zeit. Dann muss man sich dieses Bewusstsein für Genuss neu aneignen.

Welche Rolle spielt das Glas, wenn es um Wein geht?

Der Winzer betreibt heutzutage viel Aufwand; er hat einen guten Namen, einen Brand, er macht möglichst viel, um das Maximum in die Flasche hineinzupacken. Auf der anderen Seite haben wir den Konsumenten mit seiner unglaublichen Erwartungshaltung. Und dazwischen steht ein einzelnes Glas. Wenn dieses Glas nicht transportieren kann, was der Wein zu bieten hat und was der Konsument will, dann haben wir einen Verlust in der Genusslinie.

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Zur Person

René Gabriel

Der gelernte Koch stammt aus Ennetbürgen NW und verdiente sich im Beruf 13 Gault-Millau-Punkte. Er erarbeitete im Hotel Kreuz in Sempach eine Weinkarte mit über tausend Positionen und organisierte Weinreisen nach Bordeaux. Später wurde Gabriel Wein-Einkaufschef bei Mövenpick und begann, Bücher über Wein zu schreiben. Heute zählt er zu den bedeutendsten Persönlichkeiten der deutsch-sprachigen Weinszene.

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2010 haben Sie ein Glas entwickelt, in dem die verschiedensten Weine gleich gut zur Geltung kommen. Wie kamen Sie darauf?

Ich bin überzeugt, dass die typische Glasform nicht richtig ist. Bei bauchigen Gläsern beobachte ich sehr oft, dass die Leute schwingen und schwingen. Könnte man das Bouquet sichtbar machen, dann würde man sehen, dass es sich wie ein Ring im Glas dreht, wie ein Hamster im Rad. Die Absorbierung über die Öffnung ist marginal, und die Schwingerei ist anstrengend – für richtigen Genuss muss man herunterfahren können. Ich suchte nun für meine Degustationen ein Glas, mit dem man mit einer geringen Menge Wein viel erleben kann. Ich hatte zeitweise bis zu hundert Gläser zuhause, und mit diesen habe ich experimentiert und jene Gläser aussortiert, die zu unflexibel waren. Drei davon stachen positiv heraus, aber passten mir auch nicht perfekt. So habe ich schliesslich um vier Uhr morgens die ideale Form gezeichnet.

Da der Mensch ein Gewohnheitstier ist, bietet sich ein Universalglas an.

René Gabriel

Weinpapst

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Wie sieht diese besondere Glasform aus?

Das Gabriel-Glas hat unten eine V-Form, die den Wein auf einer Fläche von 9,5 cm hochtransportiert. Das ist eine irrsinnig grosse Fläche, obwohl das Glas selbst nicht extrem bauchig ist. Das Geheimnis des Gabriel-Glases liegt in dieser Oberfläche, der Distanz zum oberen Rand und der Öffnung. Dadurch erreicht man mit wenig Wein die gleiche Fläche. Und durch die konische Form ist das Bouquet gezwungen, herauszuströmen. Das Gabriel-Glas hat einen neuen Standard eines sehr guten Universalglases gesetzt. Damit haben wir den Markt dahingehend beeinflusst, dass heute Restaurants auch dazu bereit sind, nur ein Glas aufzutischen. Wohlverstanden, ich spreche nicht vom «besten» Glas. Vielleicht gibt es trotzdem für jeden einzelnen Wein irgendwo noch ein Glas, das besser wäre. Aber da der Mensch ein Gewohnheitstier ist, bietet sich ein hochstehendes Universalglas an. Mittlerweile gewinnen wir jede Woche mindestens ein neues Restaurant als Kunde und sind in 45 Ländern vertreten – ohne jegliche Werbung.

Was macht eine gute Weinkarte aus?

Wenn der Gastgeber keine Passion hat, bleibt es oft bei der langweiligen Norm. Manche haben auch nur einen Weinhändler und bitten ihn, auch gleich die Weinkarte zu bestimmen. Dann fehlt der Karte das persönliche Profil. Und meistens sind mässige Weinkarten auch vom Pricing her monoton, nach dem Motto: «Teure Weine wollen unsere Gäste gar nicht.» Ich finde, man kann durchaus eine normale Weinkarte haben – dazu lohnt es sich aber, auch ein «Schatzchäschtli» mit Raritäten und Teurerem anzubieten, falls einmal jemand kommt, der etwas Besonderes trinken möchte. Eine Weinkarte muss nicht alles abdecken. Sie sollte sich aber am Speisenangebot orientieren. Ein Italiener kann italienische Weine anbieten, das reicht – in dieser Sparte gibt es genug. Ein Texmex-Restaurant schenkt vielleicht chilenische und argentinische Weine aus. Die Weinkarte muss nicht gross, aber richtig bewirtschaftet sein. Es braucht keinen Hauswein, aber es darf auf der Karte ruhig ein Fenster geben, in dem der beliebteste Wein hervorgehoben wird. Das kommt jenen Gästen entgegen, die etwas unsicher sind. Sie können sich sagen: «Dann nehme ich doch den, damit bin ich auf der sicheren Seite.»

Die Weinkarte muss nicht gross, aber richtig bewirtschaftet sein.

René Gabriel

Weinpapst

Seit einem Jahr sind Sie offiziell im Ruhestand, begleiten aber bis nächstes Jahr noch Ihre bereits ausgeschriebenen Events und Reisen. Wie geht es danach bei Ihnen weiter?

Es lagert noch genug Wein in meinem Keller, der Themen für viele Jahre hergäbe. Ich werde nicht gar nichts mehr machen, aber vielleicht sage ich eher spontan einmal: Es geht mir gut, ich habe Lust, etwas zu organisieren. Für solche Fälle habe ich 10'000 Adressen von Wein-Freaks in einem «Excel». Ich fördere jetzt auch junge Leute, die ähnliche Sachen machen wie ich. Ihnen sage ich zum Beispiel: «Du machst einen Event, den nehme ich auf meine Website und schreibe: Fremdevent, Anmeldung bei dir.» Meine übrigen Anlässe im 2023 sind schon fast alle ausgebucht. In den letzten Jahren habe ich immer weniger wiederkehrende Anlässe wie die jährlichen Weinreisen durchgeführt. Das wird jetzt nicht einfach «ausgeknipst», das geht langsam. Meine Degustationen sind hemdsärmelig, gemütlich, unkompliziert. Man trifft Gleichgesinnte und es entstehen Freundschaften. Das ist eine gute Sache und es ist schade, dass das aufhört. Aber ein guter Clown muss wissen, wann er abtritt.

Bilder: Melanie Farine

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Raphael Dorigo

Autor

Als Sprachgourmet kreiere ich leidenschaftlich Texte, die mehr sind als Wortsalat.

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