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Mirko Buri redet nicht nur über Nachhaltigkeit. Vielmehr demonstriert und ermöglicht er seit Jahren, dass sich die Gastronomie in diesem Bereich verbessern kann. Wir haben mit ihm über Foodwaste, unschönes Gemüse und die perfekte Bouillon gesprochen.

Herr Buri, warum zieht Sie das Thema Foodwaste so in seinen Bann?

Ich glaube, das kommt daher, dass Foodwaste eine neue Dimension eröffnete. Man lernt als Koch viel über Nahrungsmittel und Zubereitungsmethoden – aber nur ein kleiner Teil meines Lebens als Koch hatte sich darum gedreht, wie viel verloren geht, wie die Sachen produziert werden, was die Arbeitskräfte verdienen und welche Einflüsse das alles auf die Umwelt hat. Da musste ich sagen: Wow, das ist eigentlich ein grosser Wissensteil, der mir als Koch fehlt. Man bestellt einfach, macht eine Wareneingangskontrolle, schaut, dass man Schweizer Produkte auf der Karte hat, aber das war’s dann. Wie die Waren produziert werden und mit welchen Auswirkungen – dafür kann man sich als Koch oft kaum Zeit nehmen.

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Mirko Buri, ein Pionier des nachhaltigen Kochens.

Was hat sich in den letzten Jahren beim Thema Foodwaste getan?

Es hat sich sehr viel verändert. Zunächst ist die Grundlagenforschung inzwischen gemacht. Claudio Beretta hat dazu eine schöne Masterarbeit verfasst, nun reicht er eine Doktorarbeit nach – verschiedene Akteure haben viele Zahlen geliefert. Es gibt Messungen aus der Gastronomie sowie bald einen Branchenindex, mit dem man sagen kann: Du hast einen Betrieb mit 150 Sitzplätzen – je nach Betriebsart solltest du nicht mehr als so und so viel Abfall produzieren. Die Branchenverbände haben unterschrieben, dass sie bis 2030 den Foodwaste halbieren wollen – dafür wird im Moment ein Monitoring erstellt. Weiter ist auch die Sensibilisierung durch verschiedene Kampagnen und Initiativen extrem gestiegen, bei den Gastronomen genauso wie bei Privathaushalten und Lebensmittelerzeugern. So kamen beispielsweise die Äss-Bar, Too Good to Go, United Against Waste Schweiz – da ist sehr viel passiert.

Sie retten unschönes Gemüse.  Warum sind optische Abweichungen beim Gemüse unerwünscht? Ist das nur in der Schweiz so?

Das liegt unter anderem an den Anforderungen von Verpackung und Logistik; das Gemüse muss im richtigen Reifezustand in die vorgefertigte Verpackung passen. Es geht aber auch um ästhetische Vorlieben. In der Schweiz haben wir uns in den letzten 20 bis 30 Jahren in eine Spirale begeben; das Gemüse musste immer perfekter sein. Man konnte es sich leisten, und das hat man gerne gezeigt. Man ging davon aus, die Anbauflächen seien unendlich. Heute brauchen wir 40 Prozent der eisfreien Fläche der Erde für die Nahrungsmittelerzeugung, und der Platz wird knapper. Da muss man sich fragen: Wie gehen wir in Zukunft mit diesen Ressourcen um? Die Schweizer Konsumierenden haben sich darauf eingestellt, für sich das Perfekte herauszunehmen. Wenn man gerade und krumme Rüebli anbietet, werden die geraden gekauft, auch wenn die krummen günstiger sind – man will gute Qualität. Und leider kann man am Preis nicht viel schrauben, da er zum grössten Teil aus der Dienstleistung entsteht. Im europäischen Vergleich hinken wir hinterher: England und Frankreich sind zum Beispiel sehr viel weiter als die Schweiz; dort ist das Gemüse nicht so genormt.

Wenn man gerade und krumme Rüebli anbietet, werden die geraden gekauft.

Mirko Buri

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Zur Person

Mirko Buri

Buri ist preisgekrönter Gault-Millau-Koch. Nachdem er eine Doku über Foodwaste gesehen hatte, gründete er das Restaurant «Mein Küchenchef» in Köniz, wo er unförmiges und überreifes Gemüse verarbeitete. Dasselbe tut er heute als Leiter Produktion und Entwicklung beim Handelsunternehmen Foodoo.

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Wenn wir das Thema Nachhaltigkeit allgemein betrachten – was sollte in der Gastronomie sonst noch angegangen werden?

Die Gastronomie hat verschiedene Probleme – primär den Personalmangel. Es muss nachhaltig gewirtschaftet werden, damit anständige Löhne gezahlt und attraktive Arbeitszeiten angeboten werden können. Dafür müssen die Preise angehoben werden! Dann werden Ressourcen frei, die in die Nachhaltigkeit investiert werden können.
Ein weiterer Punkt ist Bio. Während des Lockdowns ist der Bioabsatz in der Schweiz um 25 bis 30 Prozent gestiegen. Das ist speziell: Für zuhause kauft man Bio – geht man aber auswärts zum Mittagessen, interessiert es einen nicht, woher die Rüebli kommen und wie sie produziert wurden. Entsprechend gibt es in der Gastronomie kaum nachhaltig produzierte Lebensmittel wie Bio. Und jetzt kommt noch das grosse Thema Strom. Der Koch will sofort verfügbaren Strom in Unmengen haben, ohne überlegen zu müssen, was solche Stromspitzen bedeuten. Oder die Wärmerückgewinnung, noch so ein Riesenthema. Wir haben unser Restaurant sieben Jahre lang mit Kohlefilter und unserer eigenen Abwärme beheizt. Die Palette der Probleme ist breit, und viele Leute sagen: Um Gottes Willen, wie sollen wir das denn jetzt alles  gleichzeitig lösen? Wir haben auf zu grossem Fuss gelebt, jetzt haben wir halt zehn Probleme auf einmal. Aber wir können in den nächsten 30 Jahren umstellen, und ich bin gerne ein Teil davon.

Sie haben einmal gesagt, Ihre wichtigste Botschaft an andere, die sich ein Nachhaltigkeitsprojekt überlegen, sei: «Das wichtigste ist, dass du startest!» Haben
Sie ein paar Tipps zum Starten?

Keine Angst davor haben, was man alles sollte. Sich mal etwas herausgreifen und dann Punkt für Punkt vorgehen. Am besten etwas, wovon man selber begeistert ist – egal, ob man jetzt Kosten sparen will oder es um den Nachhaltigkeitsgedanken geht. Ebenfalls interessant: Ich habe einen Riesenstapel von Bewerbungen – vermutlich, weil man mit Nachhaltigkeit jüngere Generationen anspricht. Deswegen würde ich dazu raten, diese Generationen einzubinden. Man kann zum Beispiel den Lehrlingen oder Jungköchen sagen: Welche Ideen habt ihr? Ich vergebe einen Preis: Wer die beste Idee zum Energiesparen oder zur Verhinderung von Foodwaste liefert, bekommt einen Tag zusätzlich frei oder so was.

Ich würde dazu raten, die jüngeren Generationen einzubinden.

Mirko Burri

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«Räschte-Fäscht»

Altes Brot, Gipfeli vom Vortag oder «angetütschte» Früchte und Gemüse in den sogenannten «Säuchöbu» entsorgen und zur Herstellung von Biogas verwerten? Lieber nicht!

Zum Schluss: Was ist das Geheimnis einer perfekten Bouillon?

«Perfekt» liegt natürlich immer im Auge des Betrachters. Für jemanden, der Geschmacksverstärker gewohnt ist, ist meine Bouillon heisses Wasser mit etwas
Gemüse. Der Geschmack muss vor allem für die Kunden stimmen, die solche Nischenprodukte ohne Zusätze bevorzugen. Die andere Frage ist: Welche Auswirkungen hat mein Produkt auf die Welt? Ich kenne keine Bouillonpaste in der Schweiz, die Schweizer Gemüse enthält. Regional ist für mich perfekt. Das heisst: Schweizer Gemüse von hier verarbeiten, nicht irgendwelche billigen Importe. Analysieren, was drin steckt. Nie zuvor wurde in einem Monat mehr brasilianischer Regenwald abgeholzt als dieses Jahr. Solche Produkte sollte man nicht unterstützen; ich verwende zum Beispiel kein Palmfett. Ich unterstütze die regionale Landwirtschaft, verwende keine umweltschädlichen Produkte und verarbeite alles möglichst nachhaltig. Das macht für mich eine perfekte Bouillon aus.

Bilder: photopia.ch, thomas baumann

raphael dorigo salat

Raphael Dorigo

Autor

Als Sprachgourmet kreiere ich leidenschaftlich Texte, die mehr sind als Wortsalat.

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